Der Abendgottesdienst wird am letzten Sonntag im Monat immer von einer Gruppe der Gemeinde gestaltet. Heute haben die Kirchenvorstandsvorsitzende Gabriele Radeck-Joerdens und Sabine Fontheim, Sabine Rieckhoff sowie Dr. Kurt Fontheim gemeinsam mit der WortWerkerin Jonë Zhitia einen nachdenklichen und zugleich befreienden Gottesdienst für die zahlreich anwesenden Besucher gestaltet. Im Mittelpunkt standen Schuld und Vergebung im heutigen Kontext.
"Wie so oft bin ich spät dran" - Gedanken von Jutta Schober, Mitglied der Stiftung Kloster Neuwerk Maria in horto:
Wie so oft bin ich spät dran. Es ist kurz vor 17:00h, der Abendgottesdienst in Neuwerk beginnt gleich, ich betrete die Kirche – und bin überrascht. Überrascht von der Vielzahl der Menschen, die sich eingefunden haben, um, wie die Vorsitzende der Stiftung Maria in horto, Sabine Fontheim, in ihrer Begrüßung gleich sagen wird, einen „besonderen Abendgottesdienst“ zu feiern.
Vergeben, Versöhnen, Versprechen ist das Thema des heutigen Abends. Dazu liest Sabine Fontheim zwei Textstellen, die erste aus dem Koran, die zweite aus der Bergpredigt. „Gut sind die, die in Freud und Leid ausgeben und ihren Zorn zurückhalten und den Menschen verzeihen. Und Allah liebt die, die Gutes tun“. (Sure 3, Vers 134) „Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“ (Mt 6, Verse 11-15). Überraschend ist diese Gegenüberstellung nicht, wenn man weiß, dass die WortWerkerin Jonë Zhitia Muslima ist und sich zugleich mit der christlichen Lehre auseinandersetzt, bei der sie eben Verzeihung und Nächstenliebe so schätzt.
Es wird sehr still in der Kirche, als Kurt Fontheim ans Mikrofon tritt und von einem Besuch in Kreisau und Breslau in Polen berichtet. Dort fand er Gesten von Versöhnung, wie sie eindrücklicher kaum sein können: An einem Denkmal der Satz in Polnisch und in Deutsch, verfasst 1965: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Opfer vergeben den Tätern und räumen selber Fehler ein! Ein polnischer Kardinal hat mit diesen Worten in einem Brief an die westdeutschen Bischöfe den Beginn der Versöhnung in Europa eingeleitet. Verzeihen ermöglicht einen Neubeginn. Heute beherbergt das Gut Kreisau eine internationale Jugendbegegnungsstätte.
Die WortWerkerin Jonë Zhitia nimmt uns im Anschluss mit auf eine doppelte Gedankenreise: Vergebung und Versprechen. Wir können, so sagt sie, keine Tat vergeben, kein Leid, das jemandem zugefügt wird, kann gerechtfertigt werden, aber wir können dem Schuldigen, der Person vergeben.
„Wir sind alle Menschen“, sagte die Überlebende des Holocaust, Margot Friedländer. Nach den Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg konnte sie dennoch diesen Satz einer Schulklasse mit auf den Weg geben. Damit vergibt sie die Schuld nicht, aber sie weist in die Zukunft. Sie beschwört das Versprechen, das die Deutschen gaben: „Nie wieder!“
Auch Jesus machte sich diesen Ansatz zu eigen. Im Moment seines größten Leids konnte er zu Gott sprechen und sagen: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Er starb für die Sünden – ein Neubeginn.
Zum Abschluss dieses wirklich besonderen Gottesdienstes sind die Besucher und Besucherinnen aufgefordert, auf einem Zettel eine Bitte um Vergebung zu notieren, sei es, einem Verursacher eines Leids zu vergeben oder um Vergebung zu bitten für etwas, was einem selber auf der Seele brennt. Auch ich notiere meine Gedanken, trete nach draußen an die entzündete Feuerstelle und werfe mit den anderen Gottesdienstbesuchern meinen Zettel ins Feuer – eine spirituelle Reinigung, die hoffentlich für alle befreiend ist. Mit dem abschließenden Segen gehen wir nachdenklich in den Abend.